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Emotionaler Zeitzeugentag in Hoyerswerda

Im Rahmen des Projektes „Wider das Vergessen“ fanden heute an den fünf den Projektschulen, Lessinggymnasium, León-Foucault-Gymnasium, Christliches Gymnasium „Johanneum“, sowie an den Oberschulen „Am Planetarium“ und am „Am Stadtrand“ die Zeitzeugengespräche statt. Bevor die Gäste in die Schulen aufbrachen, begrüßte Oberbürgermeister Stefan Skora neben der Bundestagsabgeordneten Caren Lay alle beteiligten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, die Vertreter von VVN-BdA, der RAA Hoyerswerda und natürlich als Hauptpersonen die Zeitzeugen im Saal des Bürgerzentrums Braugasse 1.

In seiner Begrüßung unterstrich der Oberbürgermeister die Bedeutung des Projektes, das nun bereits auf eine 22-jährige Geschichte verweisen kann. „Das Projekt ist ein wichtiger Baustein der politisch-historischen Bildung, mit dem wir das menschliche und demokratische Denken unter den Schülerinnen und Schülern stärken und latenten rechtsradikalen Tendenzen Grenzen setzen wollen.“ Die Begegnungen mit Ihnen, liebe Zeitzeugen, gehören aus diesen Gründen zu den wichtigsten Bestandteilen dieses Projekts.“, so Stefan Skora.

Er dankte den Organisatoren und vor allem den weitgereisten Gästen für die Mühe, die sie in jedem Jahr auf sich nehmen, um unserer Schuljugend aus ihrem reichen Erfahrungsschatz zu berichten. Der Oberbürgermeister unterstrich die Wichtigkeit und Bedeutung der persönlichen Begegnung und des persönlichen Gesprächs, die allen modernen Kommunikationsmitteln und sozialen Netzwerken vorzuziehen ist, „weil man dem anderen in die Augen sehen kann und Unverstandes nachfragen kann“, so der Oberbürgermeister.

Dieser Gedanke wurde von allen nachfolgenden Rednern aufgegriffen, mehrfach wurde der Stadt Hoyerswerda für dieses hervorragende Projekt der politischen Bildung gedankt.

In den anschließenden Gesprächen in den Schulen entwickelte sich schnell eine sehr persönliche Atmosphäre zwischen den Jungen und den erfahrenen Gästen. Spannende Fragen wurden gestellt und sehr persönlich beantwortet.

Großen Nachhall fand ein Brief des Zeitzeugen Günter Pappenheim. Er konnte in diesem Jahr nicht nach Hoyerswerda kommen und hatte seine „Zeitzeugenkollegen“ gebeten, die Zeilen zu verlesen. Übernommen hatte das Wolf Stötzel, ein Zeitzeuge der 2. Generation, dessen Vater in Buchenwald ermordet worden war.

Hier der Wortlaut:

Liebe Schülerinnen, liebe Schüler,

verehrte Anwesende,

dass ich nicht in Hoyerswerda sein kann, bedauere ich sehr.

Das, was hier geschieht, um Vergangenheit zu begreifen und für Gegenwart und Zukunft zu verhindern, dass sich Verbrechen der Vergangenheit wiederholen können, liegt mir sehr am Herzen. Wissen um Zusammenhänge unserer Vergangenheit vermittelt zu bekommen , halte ich für eine wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung eines eigenen  Standpunktes.

Weil das hier beispielhaft seit vielen Jahren geschieht, war ich stets gern in Hoyerswerda und fühlte mich eigentlich nicht als Gast sondern zugehörig.

Aber in meinem Alter muss ich mit den Kräften haushalten und ich habe mich entschlossen, nach Erfurt zu fahren, um mich auf Einladung des Thüringer Landtages mit Kameradinnen und Kameraden zu treffen, die wie ich Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald waren. Wir wollen dieses Treffen nutzen, um auf Gefahren aufmerksam zu machen, die der Demokratie in unserem Lande und dem Frieden in der Welt drohen. Wir wollen der Opfer des deutschen Faschismus gedenken und mit allem Nachdruck mahnen, alles zu tun, den Frieden zu erhalten. Dazu gehört, für das menschliche Miteinander immer wieder einzutreten, gegen völkisches Denken und Handeln, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass und Terrorismus in jeder Form Stellung zu nehmen und aktiv zu werden. Wir sind also auf dem gleichen Weg – hier in Hoyerswerda, dort in Erfurt. Das stimmt mich zuversichtlich und ich sende allen in Hoyerswerda meine aufrichtigen Grüße.

Als gerade Achtzehnjähriger erhielt ich im KZ Buchenwald die Häftlingsnummer 225 14. Ich kam nach Buchenwald, weil ich französischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen auf meiner Ziehharmonika zu ihrem Nationalfeiertag die Marseillaise gespielt hatte, ihre Nationalhymne. Ein Kollege, ein eifriger Nazi, hatte mich eilfertig angezeigt. Angehörige der Geheimen Staatspolizei prügelten mich, weil sie meinten, ich hätte Hintermänner, die mein Tun veranlasst hätten.

Diesen Beamten war es unmöglich zu glauben, dass ein junger Mensch anderen Menschen, im Nazi – Sinne Feinden, eine Freude bereiten wollte. Die Franzosen waren nicht meine Feinde. Ich war kein deutscher Herrenmensch und von denen war keiner ein minderwertiger Untermensch. Inder Fabrik, in der ich arbeitete und in der sie gezwungen waren zu arbeiten, waren wir Kollegen. Die Nazis hatten uns unseren Vater genommen. Er war gleich 1933 verhaftet worden, 1934 ermordeten sie ihn bestialisch im KZ Neusustrum. Er sei von der Volksgemeinschaft ausgeschieden worden, hieß es im Sprachgebrauch der Nazis.

Als KZ-Häftling gehörte ich nun auch nicht mehr zu ihrer so genannten Volksgemeinschaft. Unfassbaren Terror gegen alles und jeden, wenn es oder er nicht in das Weltbild der Herrenmenschen passte, erlebte ich im KZ Buchenwald. Juden, Sinti und Roma, Ausländer aus den von der Wehrmacht okkupierten Ländern, politisch Andersdenkende, Menschen mit unterschiedlich religiös motivierten Vorbehalten gegen Nazis, mit eigener sexueller Orientierung, sogenannte Fremdkörper in der Volksgemeinschaft, sollten durch Arbeit vernichtet werden. Das prägte genauso meine Jahre im KZ wie der Hunger, der Schmutz, die Krankheiten, der Tod in diesem Lager.

Aber ich spürte auch menschliche Wärme, Zuneigung, Solidarität, Kameradschaft und die Kraft der Freundschaft. Zu wissen, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft, dass das Wenige teilbar ist und dass Beistand zu erwarten ist, ist nicht nur ein gutes Gefühl. Es war ein Überlebensmittel.

Nachdem am 11.April 1945 die Häftlinge des KZ Buchenwald beim Annähern US-amerikanischer Truppen sich selbst befreit hatten, traten am 19. April 1945 die 21.000 überlebenden des Lagers zum Appell an. Sie gedachten der 56.000 toten Kameraden. In der Frühlingskälte und vor Aufregung zitterte ich und ich war unglaublich froh, überlebt zu haben. Ich wollte zu leben beginnen. Bei diesem Appell leisteten die 21.000 Männer einen Schwur. Als Schwur von Buchenwald ging er in die Geschichte ein. Zwei Sätze aus dem Schwur sind für mich und die meisten meiner Kameraden zum Kompass im weiteren Leben geworden:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.

Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Heute muss ich feststellen, dass nach dreiundsiebzig Jahren noch viel zu tun ist, die Gedanken des Schwurs Wirklichkeit werden zu lassen. Neue Gefahren für den Frieden sind entstanden, neue Kriege wüten. Menschen, die vor den Kriegen fliehen, werden gejagt, ihr Recht auf Asyl wird infrage gestellt, Hilfe verwehrt. Mit Rüstungsexporten, auch aus Deutschland, werden die Kriege angeheizt. Demokratische Errungenschaften werden mit rechtspopulistischen Losungen gefährdet. Rechtsradikales, neofaschistisches Gedankengut findet fast ungehinderte Verbreitung. Der europäische Gedanke und das europäische Werk sind gefährdet.

Es prahlen Menschen, die sich politische Verantwortungsträger nennen, mit der Größe der Alarmknöpfe, die einen nuklearen Krieg auslösen können – offenbar nicht in Erwägung ziehend, dass sie die Existenz unseres Planeten riskieren. Ich bin davon überzeugt, dass die junge Generation begreifen wird, dass es zu Frieden und Freiheit keine Alternative gibt und dass es großer Mühe bedarf, sich dafür immer wieder einzusetzen.

Den Organisatoren, den kommunal Verantwortlichen, den Lehrerkollegien und den teilnehmenden Schülern danke ich sehr, dass eine so beispielhafte Veranstaltung in Hoyerswerda inzwischen zur Tradition werden konnte, die seit Jahren immer wieder neue Impulse verleiht.

Mit großem Vertrauen schicke ich meine solidarischen Grüße nach Hoyerswerda

Günter Pappenheim
16. Januar 2018

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